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Der besondere Dozent: Prof. Dr. phil. Alexander Košenina | Zurück

Alexander Košenina hat sein Studium in den Fächern Germanistik, Philosophie und Soziologie an der Ruprecht-Karls Universität in Heidelberg begonnen und im Anschluss an der Freien Universität zu Berlin promoviert und habilitiert. Trotz Lehrtätigkeiten in den USA, England und Gastprofessuren in Tokio und Peking ist er Hannover und der Leibniz Universität doch ziemlich treu geblieben. Seit 2008 hat er die Professur für Deutsche Literatur des 17. bis 19. Jahrhunderts inne. Neben seiner Arbeit als Dozent schreibt er regelmäßig für die FAZ. Sein Anspruch in der Lehre ist klar: bloß nicht zu nah am Mainstream. Wer seine Seminare besucht, muss wissen, worauf man sich einlässt. Literaturwissenschaftler*innen- und Kritiker*innen finden sich dort zusammen und diskutieren auf Augenhöhe – Alexander Košenina unter ihnen als Teilnehmer. Ich treffe ihn in seinem Büro im Hochhaus am Conti Campus, der Blick wandert zur mit Büchern gepflasterten Regalwand – so muss das bei einem Literaturprofessor wahrscheinlich sein.

Kosenina_Foto_Ingrid Blessing


Was sind Ihre Schwerpunkte?

Literaturliebe, das 18. Jahrhundert, Theater.

Wie sieht für Sie das perfekte Seminar aus?
Lebendige Gespräche, wenig Referate – die bei mir eigentlich gar nicht vorkommen oder wenn, dann höchst selten –, hohe Lesebereitschaft und Gesprächsbereitschaft. Das ist das Wichtigste.

Was ist Ihr Anspruch an Ihre eigene Lehre?
Meine Begeisterung zu vermitteln, Zusammenhänge mit Studierenden zu erschließen, Texte gemeinsam zu verstehen und unbekannte Wissensfelder zu erforschen. Im idealen Fall ein voneinander Lernen. Das ist eigentlich das Schöne, dass ich es immer mit gleichjungen Leuten zu tun habe, sodass ich von deren Weltwahrnehmung auch viel Neues lerne.

Sie waren bereits an vielen verschiedenen Universitäten in aller Welt. Was ist das Besondere an Hannover und der Leibniz Universität?
Die Leibniz ist eine mittelgroße Universität in einer mittelgroßen Stadt, da ist wenig Herausragendes. Besonders ist vielleicht eine sehr freundliche und höfliche Studierendenschaft, ganz gute Entfaltungsmöglichkeiten, eigentlich auch Unterstützung durch die Universität. Und ich würde sagen, ruhiges Fahrwasser. Es gibt so viele zerstrittene Institute. Eigentlich habe ich das Gefühl, hier machen zu können, was ich will – und das ist genau was mir vorschwebt (lacht).

Was würden Sie sagen, macht Sie zu einem besonderen Dozenten?
Ich glaube, es ist so eine Neigung und ein Interesse, ein gutes Gespräch zu führen. Ein Dozent ist in meinen Augen eigentlich gar nicht der große Wissensvermittler, sondern eher ein Werbender für die eigenen Interessen, die in den Seminaren dann Thema sind. Und dann geht es darum, das Gespräch gut zu moderieren, damit alle zum Zuge kommen können.

Was würden Sie sagen, wie ist Ihr Verhältnis zu Ihren Studierenden?
Von meiner Seite schätze ich es als sehr gut ein. Ich hoffe, dass das auch auf der anderen Seite ähnlich gesehen wird. Es gibt ja auch diese Feedback-Veranstaltungen, da geht es schon in diese Richtung. Ich glaube aber nicht, dass ich ein großer Magnet für Studierende bin. Und ich bin darüber ganz froh, denn ich bin kein Fan von überfüllten Seminaren. Weil ich selbst ein bisschen schräg bin, ziehe ich vielleicht auch eher die etwas schräge Klientel an. Das allzu Verschulte und Kalkulierbare ist nicht mein Interesse. Ich finde Seminare, bei denen schon vor Beginn feststeht, was am Ende herauskommen soll, einfach langweilig. Wer mit mir arbeiten möchte, muss sich auf ein gewisses Abenteuer einlassen, weil ich oft selbst noch nicht weiß, wo es hingeht.

Es gibt Dozierende, da scheiden sich die Geister der Studierenden. Die einen sind begeistert und die anderen wollen unbedingt jedes Seminar bei besagtem Dozenten vermeiden. Glauben Sie, dass Sie einer dieser Dozierenden sind?
Ich glaube, dass ich Anhänger und Feinde habe. Und ich glaube, das ist auch gut so. Mir gefällt es, dass wir trotz dieser engen Modulstruktur den Studierenden die Möglichkeit bieten, sich frei zu entscheiden. Es ist ja auch wirklich eine persönliche Frage von Sympathie und Geschmack, ob einem der Stil gefällt oder nicht. Ich bin gar nicht betrübt, wenn ich Gegner habe. Ich muss nicht der Rockstar sein. Wenn niemand mehr zu meinen Seminaren kommen würde, müsste ich mir vielleicht Gedanken machen, aber das ist ja zum Glück nicht der Fall (lacht).

Finden Sie, es gehört dazu, dass Studierende und Dozierende sich gegenseitig siezen?
Das ist eine gute Frage. Ich bin natürlich in einer Universität groß geworden, die noch von den 68ern geprägt war. Und meine Erfahrung war, dass das eben auch zu einem schiefen Verhältnis führen kann. Ich finde, ein distanzierter Respekt ist eigentlich eine gute Voraussetzung. Man kommt ja nicht zusammen um kumpelhaft miteinander umzugehen, sondern man befasst sich mit wunderbaren Themen und respektiert sich als erwachsene Gesprächspartner. Also, ich bin da eher für eine freundliche Distanz, die nichts ausschließt. Aber ich glaube schon, dass man ein Minimum an – ich nenne es mal – „habituellen Spielregeln“ wahren sollte.

Nutzen Sie eigentlich Social Media? Instagram oder Twitter?
Nein.

Einer Ihrer Schwerpunkte ist Angewandte Literaturwissenschaft. Wäre Journalist eine Berufsoption für Sie?
Ich arbeite ja journalistisch, auch relativ viel. In meiner Entwicklung war das immer eine Option. Besonders in der Phase der Habilitation war ich sehr ausstiegs- und umstiegsgewillt. Dann kam mit 9/11 der Zusammenbruch des Journalismus und das Berufsfeld wurde immer schwieriger. Eigentlich verstehe ich mich als universitär bezahlter Schreibender und möchte mich als Journalist nicht einschränken lassen.

Wie viele verschiedene Zeitungen lesen Sie in einer Woche?
Eine, für die ich schreibe, täglich. Und in andere guckt man so hinein. Was nebenbei bemerkt früher einfacher war, auch hier an der Conti TIB lagen Tageszeitungen aus, da habe ich stark Gebrauch davon gemacht. Ich habe sehr dafür plädiert, dass das erhalten bleibt. Ich meine, das Angebot gibt es heute nur noch am Schneiderberg, wo Tageszeitungen eigentlich gar nicht gelesen werden. Wobei ich natürlich nichts unterstellen will, aber ich glaube nicht, dass Naturwissenschaftler überproportional starke Feuilletonleser sind. Ich finde das sehr bedauerlich, dass die Zeitungen hier am Conti Campus nicht mehr ausliegen. Früher war es ein Ritual, dass man nach der Mensa und dem Kaffee noch in den Lesesaal der UB gegangen ist – ich spreche von Berlin – und dann verschiedene Tageszeitungen durchgesehen und gelesen hat. Das ist ein bisschen abhandengekommen, vielleicht auch deshalb, weil Printjournalismus offenbar in Ihrer Generation ein Auslaufmodell ist.

Worüber sprechen Sie am liebsten?
Über das was mich begeistert und interessiert. Deshalb halte ich auch gerne Vorlesungen. Tatsächlich ist die Vorlesung eine Art von allmählicher Verfertigung der Gedanken beim Reden – wie Kleist es nennt. Ich mag es gerne, über Dinge, die mich selbst begeistern, öffentlich nachzudenken.

Würden Sie sich selbst als streng bezeichnen?
Komischerweise habe ich die Reputation, streng zu sein. Das wundert mich. Also, ich glaube, ich bin in der Sache streng. Ich gebe relativ gute Noten, aber ich gelte wohl als streng.

Welche Art von Studierenden finden Sie am nervigsten?
Die, die nur der Punkte und Leistungsnachweise wegen kommen. Die, die nicht einmal die Höflichkeit besitzen, einen fehlenden Leistungsschein so einzuholen, dass sie wenigstens den Eindruck erwecken, dass sie sich für die Sache interessieren. I couldn't care less, wenn jemandem ein Schein fehlt.

Lernen um des Lernens willen oder Anspruch nach möglichst guten Noten?
Noten sind mir relativ egal. Diese Ökonomisierung des Bildungswesens finde ich ganz schlimm. Dass man nur noch nach Punkten und Noten giert.

Ihre Meinung zum Bologna-Prozess?
Sehr kritisch. Ich bin in einer Universität groß geworden, die maximale Freiheit garantiert hat, nicht nur, weil sie Freie Universität hieß, sondern weil man eigentlich auch mit ganz entlegenen und kuriosen Themen seinen Weg machen konnte. Mein Eindruck ist, dass der Kanon immer enger wird, die Vorgaben immer strenger werden, die Wahlmöglichkeiten weiter schwinden. Das bedauere ich sehr. Der ideale Student ist interessiert in alle möglichen Richtungen und folgt eben nicht nur dem Mainstream und dem Kanon. Die Verschulung der Universität widerspricht auch dem Gedanken von universitas im Lateinischen – der ursprünglichen Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden.

Wer ist Ihr Lieblingsautor? Und wieso?
Heinrich von Kleist, weil er extrem kontrovers schreibt, überhaupt zu Extremen neigt und nicht so harmonisierend ist wie Goethe. In meinen Augen ist er außerordentlich modern. Er behandelt Themen, die seiner Zeit weit voraus sind. Außerdem ist er ein großes Sprachgenie.

Können Sie mir etwas verraten, das Ihre Studierenden nicht über Sie wissen und vielleicht auch nicht erwarten würden?
Ich züchte Bienen, verputze Häuser mit Lehm und bin außerdem Geigenbauer und Buchbinder.

Gefällt Ihnen die Arbeit mit Studierenden oder mit den Kolleg*innen besser?
Die Arbeit mit Studierenden möchte ich nicht missen, weil ich tatsächlich an diese Humboldtsche Formel von einer Einheit von Lehre und Forschung glaube. Ich versuche, meine Forschungsinteressen in die Seminare hineinzumogeln und dort zu erproben, deshalb ist es immer produktiv, mit Studierenden über diese Themen zu sprechen.

Was meinen Sie, wo geht es gesellschaftlich hin mit der Lehre?
Die Germanistik und Literaturwissenschaft ist ein kleiner werdendes Fach, im Ausland dramatisch. Ich habe vier Jahre lang in England und lange Zeit in Amerika unterrichtet, dort ist das Fach Deutsch gegenüber Französisch oder asiatischen Sprachen in einer sehr schwierigen Lage. Man muss um Studierende kämpfen, was in diesen beiden Ländern ganz ökonomisch Studiengebühren bedeutet. Auch in Deutschland ist die Germanistik ein Fach, das nur noch durch die Lehramtsausbildung am Leben gehalten wird – jedenfalls aufs Ganze gesehen. Ich würde bedauern, wenn der Verschulungsprozess noch weiter fortschreitet. Ich würde mir wünschen, dass die Freiheit oder etwas der einstigen Freiheit wiederherstellbar ist.

Haben Sie einen Lieblingsort auf dem Gelände des Conti Campus?
So groß ist der Campus ja eigentlich gar nicht. Ach, ich bin ganz gerne im 4. Stock der Conti TiB zwischen den Büchern – das ist ja so meine Existenz.

Noch schnell zum Schluss, Kaffee oder Tee?
Tee.

Lesen Sie lieber digital oder auf Papier?
Papier ist mir lieber.

Welches Eis haben Sie zuletzt gegessen?
Malaga. Bisschen altmodisch, so wie ich bin. Es ist nicht überall zu kriegen. Das war auch immer mein Lieblingseis, mit den rumgetränkten Rosinen – das ist nicht mehr hip.

Was würden Sie Studierenden gerne mit auf den Weg geben?
An sich und ihre Themen zu glauben, Mut zu haben, vielleicht auch keinen Lehramtsstudiengang einzuschlagen und andere Berufsfelder anzustreben – ich glaube, das gelingt. Man sollte versuchen, sich die Begeisterung für Literatur zu erhalten.

>> Interview: Elisabeth Gustke

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