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Zukunft 0.0? Oder ist da noch irgendwo Licht... | Zurück

Warum verstehen sich eigentlich alle so gut mit ihren Eltern? Machen wir mal eine kurze Bestandsaufnahme. Was haben die Lieben so angerichtet? Sie haben beispielsweise jahrelang mehrheitlich die CDU/CSU gewählt. Wie sich jetzt zeigt, war das nur so mäßig klug. Sie haben beispielsweise jahrelang das billige Discounter-Fleisch auf den Grill gelegt. Wie sich jetzt zeigt, war das nur so mäßig klug. Sie haben jahrelang den eigenen Wohlstand in den Mittelpunkt gestellt und der Rest der Welt war ihnen weitgehend egal. Wie sich jetzt zeigt, war das nur so mäßig klug. Sie haben jahrelang die Wissenschaft ignoriert, sich nicht interessiert, nicht reflektiert, und sie haben diese galoppierende Ignoranz an die nachfolgenden Generationen weitergegeben. Wie sich jetzt zeigt, war das nur so mäßig klug. Sie haben es unterm Strich fulminant verbockt. Sie haben ihren Kindern, sie haben uns allen die Zukunft versaut. Eigentlich müssten alle jungen Menschen stinksauer sein. Und okay, manche sind ziemlich sauer. Aber die meisten bleiben lieber friedlich und funktionieren artig, sie lernen fleißig und demnächst werden sie dann ganz bescheiden ein neues kleines Rädchen im großen Getriebe. Ihr Protest ist nur Folklore. Eigentlich müssten sie ihre Eltern am Wahlsonntag bestenfalls im Keller einsperren, aber sie gehen lieber zusammen nach der Wahl noch irgendwo nett einen Kaffee trinken. So wird das nichts … 

Titelthema


Der Aufschrei müsste eigentlich so laut sein, dass allen Menschen über 30 die Ohren bluten. Der Klimawandel nimmt momentan so richtig Fahrt auf, manche Wissenschaftler prognostizieren, dass wir schon 2030 die ersten Kipppunkte erreichen. Die 1,5°C, auf die sich die teilnehmenden Staaten beim Pariser Klimaabkommen als Ziel geeinigt hatten, sind nur noch ein frommer Wunsch. Auch eine Begrenzung des Temperaturanstiegs auf unter 2°C scheint inzwischen utopisch. Wir werden immer mehr Extremwetterereignisse erleben. Die Durchschnittstemperatur von Luft und Wasser verändert sich, die Wettersuppe wird ganz neu angerührt. Wir werden hier bei uns Stürme mit einer Intensität haben, wie man sie sonst nur aus tropischen Wirbelsturm-Gebieten kennt. Dazu Starkregen und Hitzewellen mit Dürren und Bränden. Das wird die neue Normalität sein. Und wenn in ein paar Monaten oder nächste Woche die nächsten Häuser nach der nächsten großen Flut in Trümmern liegen, wird es keine Milliarden mehr zum Wiederaufbau geben, denn dazu wird das Geld nicht reichen. Aber das sind eigentlich nur Nebenkriegsschauplätze. Wir verlieren insgesamt unsere Lebensgrundlagen. In vielen Teilen der Welt wird künftig nichts mehr gedeihen, die Ernteausfälle werden immens sein. Es wird weitaus mehr lebensfeindliche Gebiete geben. Nein, das alles haben wir uns nicht ausgedacht. Das prognostiziert die Wissenschaft in unfassbar großer Übereinstimmung.

Was noch? Die Biodiversität leidet, viele Tier- und Pflanzenarten sterben aus. Die Insekten werden durch die in der konventionellen Landwirtschaft eingesetzten Pestizide dezimiert. Die Umweltzerstörung schreitet weiter voran. Die Regenwälder werden nach wie vor abgeholzt. Insgesamt gehen die natürlichen Ressourcen zur Neige. Was droht, sind globale Verteilungskämpfe. Wir erleben schon jetzt eine krasse soziale Spaltung der Gesellschaft. Und weltweit ist die Kluft zwischen Arm und Reich schlicht unerträglich. Wir werden weitere Kriege sehen, viele Konflikte. Wir werden Flucht und Vertreibung sehen. Wir werden vielerorts die krasse Abwesenheit der Menschenrechte erleben. Und bei all dem dürfen wir uns wahrscheinlich noch über weitere Infektionskrankheiten freuen, weil wir stellenweise der Natur viel zu nahe kommen.

Und was tun wir? So gut wie nichts. Wir leben einfach weiter über unsere Verhältnisse. Jedes Jahr wird ein Datum berechnet, an dem die Belastungsgrenze der Erde erreicht ist. Ab diesem Tag beginnen die Menschen mehr Ressourcen zu verbrauchen, als ihnen nachwachsend in dem Jahr zur Verfügung stehen. Der Earth Overshoot Day sollte in einer nachhaltigen Gesellschaft der letzte Tag des Jahres sein, er rückt aber von Jahr zu Jahr näher an den Jahresanfang. In diesem Jahr haben wir ihn am 28. Juli „gefeiert“. Die Probleme sind alle eng miteinander verwoben, wir haben multiple Krisen mit zahlreichen Wechselwirkungen. Eine komplizierte Mischung. „Zu kompliziert, um noch durchzusteigen“, sagen nun viele und wenden sich lieber ab. „Und man weiß ja auch gar nicht mehr, was man der Wissenschaft noch glauben soll“, meinen andere. Was kurz gesagt Schwachsinn ist. Die komplizierte Mischung ist längst im Detail erforscht, Ursachen und Wirkungen sind identifiziert, und das bereits seit vielen Jahren. Bereits am 2. März 1972 wurden „Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit“ veröffentlicht. Seite über 50 Jahren hätte man es nun also schon besser wissen müssen. Global passiert ist aber leider wenig bis gar nichts. Eher im Gegenteil. Unsere Bilanz ist mehr als traurig. Und selbst in Gesellschaften, in denen das Wissen frei zugänglich ist, wirken weiter starke Beharrungskräfte. 

Man muss gar nicht so weit in die Ferne schweifen, um das Problem zu sehen. Nennen wir es mal exemplarisch Christian Lindner. Er schwafelt von Freiheit und predigt gleichzeitig das neoliberale Hamsterrad. Unser Finanzminister wünscht sich Wachstum. Das muss er, so denkt er. Der Kapitalismus kann nur mit Wachstum und immer mehr Wachstum gedeihen. Fehlt das Wachstum, kracht das gesamte System in sich zusammen. Also muss sich das Rad unbedingt weiterdrehen, komme was da wolle. Das ist die Logik, die uns alle momentan (noch) antreibt. Es gibt ein paar wenige freiwillige Aussteiger. Und es gibt viele unfreiwillig Abgehängte. Aber das System sitzt trotzdem noch fest im Sattel. Alternativen sind weit und breit nicht in Sicht.

Und das ist die Krux. Lindner kann ganz ungestört die Konzepte aus dem vergangenen Jahrhundert anpreisen. So irre sie sind, denn ganz offensichtlich führt uns die Sucht nach Wachstum ja direkt in die Katastrophe. Es ist schizophren – wenn bei uns die Wirtschaft brummt, dann freuen wir uns, dann jubeln wir. Und Politiker*innen, die das schaffen, die Wachstum versprechen und erreichen, werden gewählt. Eigentlich müssten wir jedoch eher alarmiert sein. Wachstum ist zunehmend eine Katastrophe für uns alle. 

Aber wie gesagt, noch fehlen die Alternativen. Beziehungsweise werden mögliche Alternativen gerne verteufelt. Unternehmen, die sich bei uns zum Beispiel am Gemeinwohl orientieren, gelten eher als Spielerei, als Kindergarten. Wenn die Triebfeder des Gewinns fehlt, strengt sich niemand mehr richtig an. So heißt es. Nebenbei das Hauptargument gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen. Hier manifestiert sich ein schräges Menschenbild: Wer es sich leisten kann, ist faul. Wer zu viel Unterstützung bekommt, macht nur noch Urlaub. Gerade erst hat die CDU im Sinne dieser Logik die Änderung der Sanktionspraxis für Hartz-IV-Empfänger durch die Berliner Ampel-Koalition hart kritisiert. Und ist dafür von großen Teilen der Gesellschaft (von den Fleißigen) sehr gelobt worden. 

Was bei uns fehlt, ist eine echte Horizonterweiterung. Die Politik macht insgesamt kein gutes Bild, sie verharrt in alten Denkstrukturen, sie predigt Lösungen aus längst vergangenen Zeiten, sie ignoriert die Wissenschaft. Und dennoch tritt sie meistens auf als Hüterin der letzten Wahrheiten. Das Gegenteil ist der Fall. Wenn ein Christian Lindner Wachstum predigt, dann muss er eigentlich Contra kriegen, dann müsste ihn jemand darauf hinweisen, wie irre dieser Holzweg ist. Das findet aber leider kaum statt. Zumindest nicht in der allgemeinen öffentlichen Diskussion. Da geht es momentan eher um die Angst, dass unser Wohlstand sich verringern könnte. Er wird sich zwangsläufig verringern, wenn wir so weitermachen, wie ein Christian Lindner sich das wünscht. Lindner ist in diesem Sinne nicht klug, er ist lediglich ein ziemlich verbretterter, eindimensional denkender Fan der heiligen Kuh Kapitalismus. Bei aller lieber zum Vegetarismus, wir müssen dieser Kuh zu Leibe rücken. Ohne Respekt, mit ganz neuen Ideen und anderen Prioritäten.

Sind wir schon auf diesem Weg? Noch längst nicht. Im Gegenteil, wenn sich in den Talkshows Vertreter*innen von Fridays for Future und Politiker*innen gegenübersitzen, dann grassiert noch immer eine gewisse Arroganz „gegenüber diesen jungen Menschen, die die Schule schwänzen und das alles mal besser den Profis überlassen sollten“. Die Politiker*innen schmunzeln gerne in solchen Diskussionen. Was wissen denn schon diese jungen Leute, die noch nie gearbeitet haben? Wissen die eigentlich, wie 
echtes Leben funktioniert? Dass der Wohlstand ja auch irgendwie generiert werden muss? Wie sich Hornhaut an den Händen anfühlt? Dass das Geld, das man ausgeben will, erst verdient werden muss? Dass der Kapitalismus erst zu unserem Wohlstand geführt hat? 

Es gibt zwar manche Politiker*innen, die inzwischen ein bisschen leiser und nachdenklicher auftreten, die beginnen, ausnahmsweise die richtigen Fragen zu stellen, aber sie sind noch eher die seltene Ausnahme. Die anderen dominieren, und zunehmend dominieren auch die Populisten. Womit gar nicht mal die Irren von der AfD gemeint sind, die Populisten vom Schlage Söder sind auch nicht ohne. Die reichen schon. Ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt. Wie könnte man das nennen? Vielleicht die Pippi-Langstrumpfisierung der Politik. Selbst die Scientists for Future haben es schwer, dagegen anzukommen. 

Es gäbe ja durchaus Licht, auf das man am Ende des Tunnels zusteuern könnte, aber der Karren steckt wohl noch nicht tief genug im Dreck, die Notwendigkeit eines kompletten Umbaus unserer Wirtschaft, eines echten Paradigmenwechsels, scheint in sehr vielen Köpfen noch nicht angekommen zu sein. Was man stattdessen beobachten kann, ist eine zunehmende Infantilisierung der Gesellschaft. Man geht montags raus auf die Straße und heult und jammert, passend zur Pippi-Langstrumpfisierung. Man beklagt sich über alles Mögliche, ohne an echten Lösungen interessiert zu sein. Hauptsache, man kann ein bisschen Dampf ablassen. Natürlich darf man demonstrieren, zum Beispiel gegen soziale Härten. Und dabei ein bisschen auf die Ampel einzudreschen, in der die Farbe Gelb leider viel zu sehr dominiert, das ist ebenfalls nicht verkehrt. Aber man sollte gleichzeitig auch über Wege grübeln, die Probleme tatsächlich zu lösen. Die „Antworten“, die auf den aktuellen Demonstrationen kursieren, sind nur selten mehr als flache Parolen und Diffamierungen. Um die echten Themen, die großen Fragen machen wir in unserer Gesellschaft mehrheitlich noch immer einen großen Bogen.

Und so wird es nun in den kommenden Jahren erstmal weiter den Bach runtergehen. Es wird zunehmend krachen, es wird ernster werden und bitterer, aber es wird sich absehbar dennoch nichts ändern. Die Christin Lindners dieser Welt dominieren noch zu sehr das Geschehen. Und die Nachfolger sitzen schon in den Startlöchern, die FDP-Kevins bevölkern haufenweise die Hochschulen und reiben sich schon die Hände, demnächst endlich so richtig dick einsteigen zu können. Und dann kaufen sie sich auch einen Porsche, so wie ihr großes Vorbild. Traurig. Traurig, dass so viele junge Menschen so völlig auf dem Holzweg sind. Und nun? Wird es Kritik hageln. Was für ein tendenziöser Meinungsartikel. Lügenpresse! Links-grün-versiffter Dreck! Auch so ein ganz alter Reflex. Der Überbringer der bösen Nachricht wird 
an den Pranger gestellt. Es wird Zeit, dass sich alle Überbringer der schlechten Nachrichten solidarisieren, um endlich mal gemeinsam mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf die Richtigen zu zeigen. Es wird höchste Zeit, aufzustehen gegen die grassierende Dummheit in unserer Gesellschaft. Nicht die, die vor ein paar Jahren einen Veggieday gefordert haben, waren damals die Idioten. Die tatsächlichen Idioten waren die „Protestgriller“ von der FDP. Lasst uns da alle gemeinsam den Blick schärfen. Die Mahner, die Zweifler, die Nachdenklichen, sie sind nicht die Spielverderber. Sie sind im Gegenteil eine Chance, vielleicht die einzige Chance, dass das Spiel noch ein bisschen weitergeht.

>> Text: JB, Bild: Gerd Altmann / Pixabay.com

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